Sonntag, 22. Juni 2008

Praktische Architekturkritik in Potsdam

Auch wenn ich so etwas normalerweise nicht tue, möchte ich hiermit (wegen des passenden thematischen Bezugs) zur Weiterverbreitung des Aufrufs des "Bündnisses Madstop" für eine Demonstration morgen in Potsdam beitragen:


Am 23. Juni 1968 wurden in Potsdam die Reste der Garnisonkirche gesprengt. Damit wurde ein Bauwerk beseitigt, welches eines der bedeutensten Symbole des preussischen Militär-Feudalismus war. Errichtet wurde die Garnisonkirche auf Veranlassung des preußischen Königs Friedrich Wilhelm I. zu dem Zweck, "eine Versammlungshalle für die geistig-moralische Züchtigung der Soldaten" zu sein. Bis zum 1.Weltkrieg diente das Haus zur Ausrichtung der großen Siegesfeiern der Preußischen Armee. Außerdem wurde die Ausstellungshalle für die in verschiedenen Kriegen erbeuteten Trophäen genutzt, um aller Welt die militärische Machtfülle, den Herrschaftsanspruch und Überlegenheit des Preußentums zu demonstrieren Sie stand symbolisch für die Verquickung von Adel, Militär und evangelischer Kirche, das Bündnis aus Dumpfheit, Reaktion und Unterdrückung, welches den zu Recht schlechten Ruf Preussen begründete.

Diese Kirche war der Ort, an dem am Tag von Potsdam die alten feudalen Eliten Preussens ihr Bündnis mit der nationalsozialistischen Bewegung durch den berühmten Händedruck zwischen Hitler und Hindenburg besiegelten. Später kündigten die alten preussischen Eliten das Bündnis auf, als sie erkannten, dass der Tag sich näherte, an dem die Rote Armee ihre ostpreussischen Güter überrennen würde. Die von ihnen gestellten Offiziere, eine Bande ausgewiesener Antisemiten und Massenmörder, die im Potsdamer Infanterieregiment 9 dienten, versuchten am 20. Juli 1944 Hitler mit einem dilettantisch durchgeführten Bombenattentat zu töten. Ihr Scheitern bedeutete oft ihr Todesurteil. Dieser Machtkampf zwischen traditionellen preussischen und neuen nationalsozialistischen Eliten wird heute gern zum Widerstand umgelogen. Weil die Garnisonkirche die Regimentskirche des Infanteriregimentes 9 war, wird sie im gleichen Zug als Ort des Widerstandes bezeichnet.

Am 40. Jahrestag der Sprengung soll nun am ursprünglichen Standort der Garnisonskirche die "Stiftung Garnisonkirche Potsdam" gegründet werden. Die Stiftung wird den Wiederaufbau der Garnisonkirche organisieren und finanzieren. Dieserer Stiftung gehören unter anderem die evangelische Kirche, die Stadt Potsdam und die "Stiftung Preußisches Kulturerbe" an. Ihr Schirmherr ist der brandenburgische Innenminister Jörg Schönbohm ist. Selbst ernanntes Ziel der neuen Stiftung ist es, einen "Ort der Versöhnung" zu errichten. Angedacht ist eine Dauerausstellung zum Thema 20. Juli 1944 und dem angeblichen Widerstand preußischer Offiziere gegen das NS-Regime.

Geplant war zudem, die Kirche als ein Versöhnungszentrum zu nutzen, das von einer eigenen Stiftung unterhalten werden soll. Inzwischen hat die Kirche signalisiert, auch auf das ohnehin nur als Alibi vorgesehene Nagelkreuz von Coventry zu verzichten, welches den Preußenadler auf der Kirchturmspitze ersetzen sollte. Denn die bisher gesammelten 300.000 Euro der Kirche sehen gegenüber den von der "Traditionsgemeinschaft Potsdamer Glockenspiel" (TPG) gesammelten ca. 7 Millionen eher spärlich aus. Diese hatte die TPG allerdings mitgenommen, als sie das gemeinsame Projekt im Streit verließ. Die TPG, welche aus dem Umfeld eines westdeutschen Fallschirmspringerbataillon entstand, stieß das Projekt des Wiederaufbaus bereits Mitte der 80er mit der Geldsammlung für das Glockenspiel der Garnisonskirche an. Die Forderungen der TPG nach einem Verbot von feministischen Pfarrerinnen, homosexuellen Trauungen und Kirchenasyl in "ihrer" Kirche führte zum Bruch mit der evangelischen Kirche. Doch scheinen die übrig gebliebenen Organisationen nun gemerkt zu haben, dass mit Wischiwaschirevisionismus kein Geld zu holen ist. Durch ihre finanziellen Mittel kann die TPG Stück für auf informellem Wege ihre Forderungen durchsetzen, welche einen noch reaktionäreren Charakter haben, als es der Wunsch nach dem Wideraufbau der Garnisonkirche ohnehin schon ist.

Preußen ist nicht sexy!

Der Wiederaufbau der Garnisonskirche ist jedoch nur das Flaggschiff der Preußenrenaissance. So wird in Potsdam gerade an der Neuauflage des Preußischen Toleranzedikts gearbeitet, und der Wiederaufbau des Stadtschlosses ist im vollen Gange. Dass diese Renaissance über Potsdams Grenzen hinaus von Bedeutung ist, sieht man beispielsweise am Süddeutsche Magazin. Dieses widmete dem Thema eine ganze Ausgabe unter dem Titel „Preußen ist sexy“.

Aber Preußen ist weder sexy, noch tolerant oder glamourös. Es steht für eine rücksichtslose Politik des Herrschaftsanspruches, Zwang zur Obrigkeitshörigkeit, Disziplinierung und Militarismus. Der Preußenhype wird getragen von Menschen mit reaktionären Gesellschaftsvorstellungen. Aber wir haben keinen Bock auf Preußen! Wir sind für eine selbst bestimmte, freie Gesellschaft ohne Geschichtsrevisionismus, Disziplinierung und das Abfeiern autoritärer Gesellschaftsstrukturen!

In diesem Sinne: Preußen war, ist und bleibt scheiße!

Das wollen wir am 23. deutlich zeigen und gleichzeitig praktische Architekturkritik feiern!

DEMO // 23.JUNI // 16.30 UHR am GLOCKENSPIEL (DORTUSTRASSE)

Ein Ausflug nach Buch


Der zu Berlin gehörige Ort Karow hätte, soweit ich überblicken konnte, an sich nichts zu bieten, was einen Besuch rechtfertigen würde, wäre da nicht seine vorteilhafte Lage: Durchwandert man ihn nämlich in Richtung Norden, dann gelangt man unter einer Autobahnbrücke des Berliner Rings hindurch in die ebenfalls ins Berlinische eingemeindete Ortschaft Buch, wobei der erste Eindruck durch ein Wohngebiet aus sechsgeschossigen Plattenbauten gebildet wird. Hier werden Reisende von zwei freundlichen, von Stephan Horota geschaffenen Giraffen begrüßt.






Bald hierauf gelangt man zu einem Exemplar von Kunst im öffentlichen Raum, das sehr anschaulich zeigt, zu welcher Höhe gerade diese Form der Kunst im Sozialismus gelangen konnte. Es handelt sich dabei um das 1976 von H. Schulz und W. Petrich geschaffene Keramikrelief “Lernen und Freizeit” an einer Außenmauer, die den Eingang zum Schulhof der Hufeland-Oberschule weist. Gegenstand des Werkes ist, ganz profan, das alltägliche Leben der Menschen, und zwar junger Menschen, denn wahrscheinlich werden es vor allem solche gewesen sein, die hier bei Entstehung des Wohngebietes einzogen. Kinder lassen Drachen steigen – in der Schule lernen sie anhand von Bildern und Präperaten etwas über Vögel, während im Hintergrund Bilder von Juri Gagarin und Karl Marx an der Wand hängen – ein junges Paar beim Schwimmen – die Erbauer des Wohngebietes, dessen eine Betongroßplatte im Hintergrund zu sehen ist, werden von einer Pionierdelegation begrüßt – ein Paar (das gleiche wie vorhin?) durchtanzt die Nacht und wirbelt dabei den gesamten Sternenhimmel des Sonnensystems um sich herum – eine internationale Gruppe junger, hippieartig aufgemachter Menschen musiziert (die X. Weltfestspiele der Jugend und Studenten in Berlin lagen zum Zeitpunkt der Fertigstellung des Kunstwerks erst drei Jahre zurück) – eine junge Familie picknickt am Strand. Geht man nach links, so merkt man erst, dass noch ein weiteres Bild zu dem Zyklus gehört, das sich auf einem rechtwinklig abgeknickten Stück der Mauer befindet: Kinder stehen vor einer Wand, auf die sie ein Bild der Schule malen. Die malenden Kinder sind als Reliefs abgehoben, während ihr in kindestypischen Formen gehaltenes Bild flach in den Ton eingeritzt ist (durch ebensolche Gestaltung sind auch die Bilder an den Wänden des Klassenzimmers als Bilder kenntlich gemacht, im Unterschied zum als Relief dargestellten lebendigen Tun der Schüler). So wird als Abschluss der Anlage formuliert, dass Jede und Jeder, die und der hier zur Schule geht, auch selbst künstlerisch tätig werden kann. Das zeigt sich auch an der Platzierung der malenden Kinder, die eine Ebene tiefer stehen als der ganze Rest der Bilder, so als wären sie nicht selbst Teil des Kunstwerks, sondern auf einer Stufe mit den Künstlern, die dieses Werk geschaffen haben.



Erfüllt von Eindrücken begeben wir uns in Richtung des ausgedehnten Bucher Klinikgeländes, auf dem sich Bauten aus fast allen architektonischen Strömungen des 20. Jahrhunderts versammeln: vom historisierenden Ekklektizismus über das Neue Bauen bis hin zu Spuren aus jedem Jahrzehnt Baugeschichte der DDR. So vereinigt die hier abgebildete Robert-Rössle-Klinik an einem einzigen Gebäude die letzten Ausläufer der “nationalen Bautradition” (ersichtlich noch in der Gliederung der Fassade) und eine geradezu überschwengliche Umarmung der internationalen Moderne (der Eingangsbereich ist baulich und vom Dekor her ganz in dynamischen, asymmetrischen Formen gehalten).



Durch den teilweise recht verwilderten Schlosspark hindurch gelangen wir schließlich an unser Ziel: ein Bücherbasar auf einem ehemaligen Werksgelände, bei dem wir uns mit allerlei Nützlichem und Angenehmem eindecken können. Auf einer Bank im Wohngebietszentrum beim S-Bahnhof, das leider seit meinem letzten Besuch komplett abgerissen und durch neue Ladenbebauung mit engen Gassen ersetzt wurde (nur eine Kaufhalle steht noch, wird aber momentan auch geräumt), blättern wir in unseren neuen Büchern und nehmen aus den Augenwinkeln noch wahr, wie ein kleines Mädchen ihrer Mutter imponieren will, indem sie die vor uns stehende “Gänsegruppe” Nikolaus Bodes erklettert. Ich fühle mich erinnert an meine Lieblingspassage aus Georg Piltz' “Mit der Kunst auf du und du” (Verlag Neues Leben, Berlin 1974), und will diesen Beitrag damit schließen:


Kinder “benutzen die Plastik als Mal beim Haschen, als Sitzgelegenheit oder auch als Klettergerüst. Für sie gehört das Kunstwerk einfach zu ihrer natürlichen Umwelt, es ist für sie in einem schönen Sinne selbstverständlich geworden ... Vielleicht ist dies die wichtigste Funktion der 'Kunst am Wege': Sie erlöst die Kunst aus ihrer musealen Abgeschiedenheit, in die sie von der Bourgeoisie verbannt war, und befreit den Menschen von einer Betrachtungsweise, die angesichts einer sich ständig verändernden Welt ebenfalls museal anmutet. Wir lernen mit der Kunst wie mit unseresgleichen umzugehen und sie eindringlich zu befragen, statt sie nur ehrfürchtig zu bestaunen.” Hoffen wir, dass die Kletterpartie für das Bucher Mädchen einen solchen Anfang zur Kunstliebe bildet – sollte sie die Hufeland-Oberschule besuchen, hätte sie jedenfalls bereits auf dem Schulweg beste Voraussetzungen dazu.