Montag, 17. März 2008

Saure Trauben


Über das Berliner Wohngebiet Hellersdorf wusste ich auf dieser Seite ja bislang wenig Nettes zu sagen. Heute aber muss ich doch ein Kunstwerk dieses Viertels würdigen, das mustergültig zeigt, was sozialistische Kunst vermag. Am Eingang der heutigen „Grundschule an der Wuhle“ prangt ein Mosaik aus dem Jahre 1981, welches die aesopsche Fabel „Der Fuchs und die Trauben“ in der Bearbeitung des Babrios zum Thema hat.


Weintrauben hingen noch an einem Bergabhang
Von dunklem Rebstock. Da erblickt ein schlau Füchslein
Die üppig vollen, und gar oft heranspringend

Will mit den Pfoten es die Purpurfrucht haschen,

Die reif schon war und für den Kelterbaum zeitig.

Vergebne Müh’! Er konnte nicht hinaufreichen.

Da ging er weiter, also seinen Schmerz stillend:

»Die Traub’ ist sauer, wie ich seh’, und noch unreif.«

- so zu finden auf der Internetseite „Fabeln und anderes“.


Die Kritik menschlicher Charaktereigenschaften und Konflikte in Form von Tiergeschichten, die ja das Genre der Fabel hauptsächlich ausmacht, hat ihre Berechtigung, so lang der Mensch dem Tierreich noch nicht völlig entstiegen ist, solang also die Vorgeschichte noch nicht in die eigentliche Geschichte übergegangen ist, in der der Mensch tatsächlich über seine natürlichen und gesellschaftlichen Lebensbedingungen herrscht, statt von ihnen beherrscht zu werden.


Der Selbstbetrug von der Tugend der Armut – dass man das Problem, von einem Gut ausgeschlossen zu sein, in die persönliche Entscheidung umdeutet, man wolle dieses Gut ja eigentlich sowieso nicht haben – ist umso verbreiteter, je alternativloser die Armut erscheint. Die Geschichte vom Fuchs, der sich selbst belügt, dass die Trauben, die er nicht erreichen kann, ihm ohnedies nicht schmecken würden, passt darum genauso auf die griechische Gesellschaft zu Zeiten des Aesop wie auf den heutigen Kapitalismus.


Eine sozialistisch-realistische Bearbeitung eines solchen Themas aber kann nicht dabei stehenbleiben, einfach nur die Schwäche des Subjekts angesichts der naturgegeben erscheinenden Armut darzustellen. Sie muss einen Ausweg aus der Armut zeigen, der ihre falsche ideologische Reflektion obsolet macht. Dieser Ausweg aber liegt in einer veränderten Ordnung der Arbeit, in der Kooperation der Produzenten unter planmäßiger Anwendung der Natur zur Befriedigung der Bedürfnisse der Produzenten. Die beiden auf dem Mosaik gezeigten Menschen zeigen das in wunderbar klarer und einfacher Weise: Indem sie arbeitsteilig zusammen handeln, schaffen sie, woran der Fuchs scheitert, und können die Früchte genießen, die ihm versagt bleiben. Sie erheben sich damit nicht nur über die tatsächliche Natur, sondern auch über die naturgesetzmäßig erscheinenden Zustände der Klassengesellschaft; nicht nur über das Tierreich, sondern auch über die ökonomische Konkurrenz, die macht, dass Menschen sich zueinander verhalten wie die Tiere im Kampf um das „survival of the fittest“.


Das Mosaik hebt damit die Form der Fabel in gewissem Sinne auf, indem es sie auf ein sozialistisches Fundament stellt: Erst die Abschaffung der Armut durch vernünftige Organisation der Produktion ermöglicht wirklich, dass Menschen über den eitlen Fuchs in der Geschichte lächeln können, statt sich selbst wie er zu verhalten – eine wunderbare Lehre, um sie den hier zur Schule gehenden Kindern mit auf den Weg zu geben. Ein weiteres schönes Beispiel dafür, dass die Kunst in der DDR oft schon viel weiter war, als die gesellschaftlichen Verhältnisse beim Aufbau des Sozialismus selbst.

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