Freitag, 1. Februar 2008

An die Jugend des Jahres 2017





Es war bloßer Zufall: Nur der Neugier halber bogen wir von der Berliner Straße in Strausberg in den städtischen Friedhof ein, und nachdem wir uns davon überzeugt hatten, dass es hier nichts Spannendes zu sehen gab, beschrieben wir einen Bogen, um zu unserer Ausgangsstrecke zurückzukommen. Dabei bot sich uns auf einmal ein sehr merkwürdiger Anblick: Eine überlebensgroße Sandsteinskulptur eines energisch stehenden Mannes lag auf dem Rücken in einem umzäunten Garten, das Gesicht unter einer Plane verborgen. Wir bemerkten, dass das dem Garten zugeordnete Haus das städtische Heimatmuseum war. Dessen Vorsteherin gab uns freundlich Auskunft, es handele sich bei der Statue um „unseren Lenin“, und deckte die Plane für uns ab. Er habe früher vor dem Stadthaus auf dem Leninplatz, heute Marktplatz, gestanden, und lagere nun seit den 90er Jahren in diesem Hof, da keine Einigung über seinen Verbleib gefunden werden könne. Mit Staunen hörten wir, dass es auch merkbare Fraktionen in der politischen Landschaft der Stadt gebe, die sich für die Wiederaufstellung der Statue an exponierter Stelle einsetzten. Wie ich inzwischen einem schlecht geschiebenen Tagesspiegel-Artikel entnehmen konnte, handelt es sich dabei vor allem um die lokale DKP-Parteigruppe. Als die Frau bemerkte, wie interessiert wir an solcherlei Dingen waren, führte sie uns ins Museumsarchiv und breitete verschiedene Broschüren und Heimatkalender vor uns aus, die noch mehr über sozialistische Denkmäler auf dem Boden Strausbergs zu erzählen wussten. Als wir später zum Leninplatz kamen, merkten wir auch gleich, dass hier etwas fehlte.



Es ist für mich immer wieder erfreulich, bei meinen Spaziergängen durchs Anschlussgebiet zu sehen, dass es auch noch andere Menschen gibt, denen der Erhalt wenigstens der Kulturgüter der untergegangenen DDR am Herzen liegt. Zwar ist Walter Womacka zuzustimmen, wenn er in seinen Memoiren „Farbe bekennen“ über eines seiner größten Werke schreibt: „Nun ist das Wandfries am Haus des Lehrers inzwischen so alt, wie es die DDR wurde. Es scheint älter zu werden. Das freut mich. Wäre es umgekehrt gekommen, freute es mich mehr.“ Aber momentan kann man es sich nicht aussuchen, und vielleicht können ja die großen Kunstwerke des untergegangenen Sozialismus in Zukunft auch der Inspiration neuer Anläufe zur Errichtung einer klassenlosen Gesellschaft dienen, so wie die Kultur der alten Griechen die Renaissance inspirierte.



Nun ist zwar die von Hans Kies geschaffenen Leninskulptur an sich ein eher konventionelles Stück Monumentalplastik, aber sie ragt aus der großen Masse ähnlicher Werke heraus durch die Hinzufügung eines Gedenksteines mit dem Emblem der FDJ und der Inschrift: „1977 / An die Jugend des Jahres 2017“. Diese Linie von der Oktoberrevolution über die 70er Jahre – dem leider extrem falsch durchgesetzten Anspruch nach die Periode der „Gestaltung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft“ – bis hin zum Jahre 2017, also 100 Jahre nach dem Roten Oktober, zeigt den großartigen Zukunftsoptimismus der DDR; das Bewusstsein, dass es kein Problem gibt, das nicht gelöst werden kann. Sie zeigt aber leider für uns heute auch, dass es dafür keinen Automatismus gibt, dass Revolutionen nicht unumkehrbar sind und das Rad der Geschichte sehr wohl auch zurückgedreht werden kann, wenn Revolutionäre Fehler machen.


Nun ja, bis 2017 sind noch einige Jahre Zeit, und vielleicht sind ja bis dahin gesellschaftliche Verhältnisse errichtet, in denen auch dieses Denkmal wieder seinen alten Platz einnehmen kann.

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