Sonntag, 17. Juni 2007

Geschlagen, befreit





Bereits gestern war an dieser Stelle das Gedenken an die Opfer des Faschismus als Sinnstiftung für die Gegenwart Thema. Auch diese Figurengruppe vor dem Freizeitforum in Berlin - Marzahn, die den würdigen Abschluss der Marzahner Promenade bildet, verfolgt dieses Ziel. Die drei Figuren, "Die Geschlagene", "Sich Aufrichtende" und "Sich Befreiender", können gelesen werden als Entwicklung von der Unterdrückung durch den Nationalsozialismus über das Aufstehen zum antifaschistischen Widerstand bis zur Selbstbefreiung von den Wurzeln des Faschismus im Rahmen der sozialistischen Revolution, was auch durch die Platzierung der Statuen auf einem zentralen Platz des wichtigsten sozialistischen Wohngebiets der späten DDR unterstrichen wird. Zusammengehalten wird die Figurengruppe durch Platten im Boden, in die die Worte "gefoltert", "vergessen" usf. geätzt sind, bis zur letzten Platte, "befreit".

Interessant ist gerade die letztgenannte Platte, die den historischen Ablauf der Beseitigung des Nationalsozialismus weitaus richtiger widergibt als die Statue des "Sich Befreienden": Nicht die Deutschen selbst, sondern die Alliierten waren es, die das "Tausendjährige Reich" beendeten. Interessant ist auch, dass diese dritte Skulptur des Ensembles erst 1991 aufgestellt wurde, während die beiden anderen von Mitte der 80er Jahre datieren. Eine böswillige Lesart könnte zu dem Schluss führen, hier sei eine Linie zur "Selbstbefreiung" der DDR-Bevölkerung im Rahmen der "friedlichen Revolution" von 1989 gespannt. Doch die verantwortliche Künstlerin, Ingeborg Hunzinger, ist solcher Anwandlungen kaum verdächtig. Die Bildhauerin und Kommunistin, bei Fritz Cremer in die Lehre gegangen, hat auch nach 1990 noch Werke wie das Denkmal für den Frauenprotest gegen die "Fabrikaktion" in der Rosenstraße (bereits in den späten 80ern in Auftrag gegeben) und die Reliefs für Karl Liebknecht und Mathilde Jacob am Franz-Mehring-Platz geschaffen.

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Schöner Text. Ich denke aber, die Skulpturengruppe bezieht sich eher allgemein auf den Befreiungskampf der Arbeiterklasse als speziell auf den Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Mir fielen bei einer meiner ersten Begegnungen mit diesem Kunstwerk die Sätze auf dem Manifest ein: "Das Proletariat hat nichts zu verlieren als seine Ketten. Es hat eine Welt zu gewinnen." Das Verlieren der Ketten findet in den drei Figuren einen symbolischen Ausdruck, ein Anfang der gewonnenen Welt und ein Versprechen auf mehr sind das fortschrittliche Wohngebiet ringsherum und das große Kulturzentrum, zu dem die Stufen, auf denen die Figuren angeordnet sind, ja hinaufleiten.

Christopher Tracy hat gesagt…

Vielen Dank, das leuchtet ein. Ich habe dementsprechend die Kategorie des Beitrags geändert.

Übrigens muss ich dir bei Gelegenheit einmal mein neu erstandenes zweibändiges Werk über "Kunst der DDR" (hrsg. von Ullrich Kuhirt) vorstellen. Darin steht auch ein kurzer Absatz über Studien zum Bau von Großwohneinheiten in den 60er Jahren, in dem Silvio Macetti Erwähnung findet.